Klage gegen die Videoüberwachung in Köln

Die Initiative Kameras stoppen unterstützt eine bereits laufende Klage eines Anwohners gegen die Videoüberwachung in der Stadt Köln. Aktuell läuft parallel ein Eilverfahren gegen die Videoüberwachung an Ebertplatz, Breslauer Platz und Neumarkt, bis das Gericht im Hauptsacheverfahren generell über die Videoüberwachung entschieden hat.

Auf dieser Seite informieren wir über den aktuellen Stand sowie die in der Klage vorgebrachte Argumentation (langer Text, Lesedauer ca. 20 Minuten):

Beschluss VG Köln zum Ebertplatz (Stand: 10.10.2021)

Das Verwaltungsgericht Köln hat seine Einschätzung zum Neumarkt, dass es sich bei dem Platz um einen Kriminalitätsschwerpunkt innerhalb Kölns handele, auch auf den Ebertplatz übertragen. Aus diesem Grund darf die Polizei vorerst die Videobeobachtung und -überwachung fortsetzen. Allerdings hat das VG auch hier die Einschränkung aus dem Beschluss Neumarkt wiederholt, dass Fenster, Hauseingänge und KFZ-Kennzeichen auf den Monitoren und den Aufzeichnungen unkenntlich gemacht werden müssen (VG Köln, Beschluss vom 28.07.2021; 20 L 2343/20).

Sowohl die Klägerseite, als auch das Land NRW haben gegen diesen Beschluss im Eilverfahren Beschwerde beim OVG NRW eingelegt (OVG NRW, 5 B 1289/21). So liegen jetzt alle drei angestrebten Eilverfahren zur Videobeobachtung und -überwachung (Breslauer Platz, Neumarkt, Ebertplatz) dem OVG NRW zur Entscheidung in zweiter Instanz vor.

Da die Polizei behauptet, den Beschluss des VG Köln mit seinen Einschränkungen zu Neumarkt und Ebertplatz nicht umsetzen zu können, ohne die Videobeobachtung in den Randbereichen wirkungslos werden zu lassen, hat das OVG NRW am 30.09.2021 eine Zwischenentscheidung zum Ebertplatz im Rahmen einer Abwägung zugunsten der uneingeschränkten Videobeobachtung und -überwachung getroffen. Demnach ist die Polizei nicht verpflichtet, die Einschränkungen des VG-Beschlusses zum Ebertplatz umzusetzen, bis nicht das OVG über die Beschwerden entschieden hat.

Beschwerden eingelegt beim OVG NRW (Stand: 01.04.2021)

Das Land NRW hat inzwischen sowohl gegen den Beschluss des VG Köln zum Breslauer Platz wie auch gegen den zum Neumarkt Beschwerde beim OVG NRW eingelegt. Der Kläger hat das gleiche zum Neumarkt getan und zum Breslauer Platz in Reaktion auf die Beschwerde des Landes NRW Anschlussbeschwerde eingereicht.

Ziel des beklagten Landes ist die weitere ungehinderte Videoüberwachung auf beiden Plätzen ohne jede Einschränkung.
Der Kläger hingegen bezweckt weiter die Einstellung der Videoüberwachung auch auf dem Neumarkt und die zusätzliche physische Verhüllung oder Demontage der Kameras sowie die Änderung der Hinweisschilder auf dem Breslauer Platz. Eine alleinige Einstellung der Kamerafunktion, die nach außen nicht erkennbar gemacht ist und innerhalb von wenigen Minuten wieder rückgängig gemacht werden kann, sichert demnach nicht die Garantie des Grundrechts auf Informationelle Selbstbestimmung und Entfaltungsfreiheit.

Nun muss für beide Plätze die nächste Instanz (OVG NRW in Münster) entscheiden, ob die Videoüberwachung bis zu einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung einzustellen ist oder – und zu welchen Bedingungen – weitergeführt werden darf. Das Aktenzeichen beim OVG NRW für den Breslauer Platz lautet 5 B 137/21, für den Neumarkt 5 B 264/21.

VG-Beschluss zum Neumarkt (Stand: 10.02.2021)

Am Montag, den 08.02.2021 hat das Verwaltungsgericht Köln über den Eilantrag des Klägers gegen die polizeiliche Videoüberwachung in Bezug auf den Neumarkt in Köln entschieden (20 L 2344/20).

Dieser Beschluss hat Auswirkungen auf die gesamte polizeiliche Videoüberwachung in NRW, weil das Gericht grundsätzlich feststellt:
„§ 15a PolG NRW ermächtigt allerdings weder zur Videoüberwachung privater und/oder sensibler Bereiche noch zur KFZ-Kennzeichenerfassung.“

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss klargestellt:
„Entsprechend hat der Antragsgegner sicherzustellen, dass Privatbereiche, d.h. Wohn- und Geschäftshauseingänge im Videobereich Neumarkt, der Eingangsbereich des Gesundheitsamtes und die KFZ-Kennzeichen der den Videobereich befahrenden Straßenverkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer unkenntlich gemacht/ verpixelt werden.“

Unter dieser Bedingung der Unkenntlichmachung/Verpixelung hat das Gericht die Videoüberwachung im Eilverfahren weiter zugelassen. Es ist der Meinung, dass die Polizei Köln nachweisen konnte, dass es sich beim Neumarkt um einen Kriminalitätsschwerpunkt in Köln handelt und sie die Maßnahme deshalb bis zu einer Hauptsacheentscheidung weiter fortführen dürfe.

VG-Beschluss Eilverfahren: Kameras am Breslauer Platz müssen abgeschaltet werden!
(Stand 19.01.2021)

Mit Beschluss vom 18.01.2021 (20 L 2340/19) hat das Verwaltungsgericht Köln der Polizei auferlegt, die Videoüberwachung des Breslauer Platzes und seiner Seitenstraßen in Köln unverzüglich einzustellen. Dieser Beschluss gilt bis zu einer endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Direkt nach Bekanntwerden des Beschlusses hat die Polizei Köln diesen auch umgesetzt, indem sie bei den Multifokus-Kameras die eigentlich für Versammlungen vorgesehenen Sichtsperren (gelbe Rollos) heruntergefahren und die PTZ-Kameras mit der Linse gegen den Mast gedreht hat.

Die Polizei Köln prüft aktuell, ob sie innerhalb der Zweiwochenfrist Beschwerde gegen diesen Beschluss beim OVG NRW in Münster einlegt. Das VG Köln hat seinen Beschluss damit begründet, dass der Breslauer Platz kein Kriminalitätsschwerpunkt im Sinne des § 15a PolG NRW ist und die Videoüberwachung an diesem Ort auch nicht verhältnismäßig ist.

Eine Entscheidung in den Eilverfahren zur Videoüberwachung am Ebertplatz und am Neumarkt sollen demnächst folgen.

Gericht lehnt Zwischenverfügung ab und trennt Verfahren (Stand 12.12.2020):

Am 10.12.2020 hat das Verwaltungsgericht Köln den Antrag auf eine Zwischenverfügung im Eilverfahren abgelehnt. Ohne inhaltlich dem Ergebnis im Eil- und Hauptsacheverfahren vorzugreifen, ist das Gericht der Argumentation des Klägers nicht gefolgt, die Folgen der Corona-Schutzverordnungen (Land NRW und Stadt Köln) mache es zwingend notwendig, die polizeiliche Videoüberwachung zumindest vorübergehend sofort einzustellen. Trotz des zurückgegangenen öffentlichen Verkehrs, des Alkoholverbots zu Abend- und Nachtzeiten und des Rückgangs der Zahl an Straftaten handele es sich bei den Plätzen Breslauer Platz, Neumarkt und Ebertplatz weiterhin um Kriminalitätsschwerpunkte. Eine Abwägung der Nachteile gehe deshalb zu Lasten des Klägers. Die Einstellung der Videoüberwachung wäre gravierender zu werten als der weiter vorübergehende Eingriff in die Grundrechte des Klägers, wenn sich die Videoüberwachung im Eil- und Hauptsacheverfahren am Ende als legal herausstellen sollte.

Unsere Initiative ist weiterhin der Meinung, dass der täglich zehntausendfache Grundrechtseingriff bei allen unverdächtigen Passant*innen nicht im Verhältnis steht zu den vorgelegten Kriminalitätszahlen. Das Gericht hat hier lediglich darüber entschieden, ob die Zeit der Corona-Einschränkungen eine sofortige Einstellung der Videoüberwachung zwingend erforderlich macht. Über die Gesamtbewertung der Maßnahme sagt diese Entscheidung nichts aus. Das geschieht im Hauptsacheverfahren, wo auch der Datenschutz und andere Aspekte mitbetrachtet werden müssen.

Eine weitere Entscheidung des Gerichts ist die Trennung der Klage und des Eilverfahrens auf die einzelnen räumlichen Bereiche der Videoüberwachung. Das heißt, dass sich das Gericht nun jeden einzelnen Bereich formal in einem eigenen Verfahren anschaut und bewertet. Somit haben wir nun sechs Klage- und drei Eilverfahren, die sich wie folgt aufteilen:
Klageverfahren
– 20 K 4855/18 (Dom / Hauptbahnhof, Domplatte, Roncalliplatz, Museum Ludwig, Philharmonie und Jugendtagsweg)
– 20 K 6705/20 (Hohenzollernring zwischen Friesenplatz und Rudolfplatz einschl. des Umfeldes und Hohenzollernring bis Parkanlage KWR)
– 20 K 6706/20 (Breslauer Platz und umliegende Bereiche)
– 20 K 6707/20 (Ebertplatz und umliegende Bereiche)
– 20 K 6708/20 (Neumarkt und umliegende Bereiche)
– 20 K 6709/20 (Wiener Platz und umliegende Bereiche)
Eilverfahren
– 20 L 2340/19 (Breslauer Platz und umliegende Bereiche)
– 20 L 2343/20 (Ebertplatz und umliegende Bereiche)
– 20 L 2344/20 (Neumarkt und umliegende Bereiche)

Zwischenverfügung beantragt (Stand 11.11.2020):

Da der vor nun einem Jahr beim VG Köln eingereichte Eilantrag bis heute nicht beschieden wurde, gleichzeitig durch die aktuellen Corona-Auflagen Kriminalität generell und die Straßenkriminalität im Besonderen nochmal stark zurückgegangen ist, hat der Kläger eine Zwischenverfügung bei Gericht beantragt. Inhalt ist der Antrag, dem Polizeipräsidium Köln zu untersagen, während der Geltungsdauer der Corona-Schutzverordnung des Landes NRW, auch in Verbindung mit den noch weiter reichenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens durch die Stadt Köln, ihre stationäre Videoüberwachung auf den im Eilantrag genannten Plätzen Ebertplatz, Breslauer Platz und Neumarkt in Köln weiter zu betreiben.

Seit Einreichen des Eilantrags hat der Beklagte (Polizei Köln) im Hauptsacheverfahren keine Stellungnahme mehr abgegeben. Es wurde sich darauf konzentriert, das Eilverfahren zu bedienen. Dabei hat die Anwaltskanzlei des Polizeipräsidiums das Verfahren herausgezögert, indem sie mehrfach den Aufschub ihrer vom Gericht gesetzten Fristen beantragte; so warten wir aktuell seit zweieinhalb Monaten auf eine Stellungnahme zu einem von der Klägerseite verfassten Schriftsatz vom 24.08.2020. Gleichzeitig hat bei Gericht mehrfach der*die Berichterstatter*in für das Verfahren gewechselt, sodass auch dadurch eine Verzögerung eingetreten ist.

Inzwischen konnten allerdings einige Erkenntnisse durch die Klage, das Eilverfahren und andere Recherchen gewonnen werden:
– Die Polizei hat nachgewiesen zweimal ihre Videoüberwachungsanlagen in Köln rechtswidrig verwendet, indem sie am 14.11.2019 auf dem Ebertplatz und am 18.01.2020 auf dem Neumarkt Bilder von ihren Kameras auf Monitore von Workstations ins Präsidium übertrug, obwohl ihnen das wegen zu den Zeitpunkten dort stattfindender Versammlungen untersagt war.
– Bei einer Versammlung auf dem Bahnhofsvorplatz am 25.11.2018 hat die Polizei zwischendurch Kameras der Videoüberwachungsanlage eingeschaltet. Dies teilte die Polizei Köln der Datenschutzbeauftragten des Landes NRW am 29.01.2020 schriftlich mit. Auf eine Nachfrage des Klägers in Hauptsache- und Eilverfahren hat die Polizei diese Information nicht herausgegeben, sondern mit der schriftlichen Stellungnahme vom 31.01.2020, die Protokolldaten seien inzwischen gelöscht, suggeriert, es könne keine inhaltliche Auskunft mehr zum Einsatz der Kameras erteilt werden.
– Die Polizei Köln ist Protokollierungspflichten nach § 55 DSG NRW nicht nachgekommen. So hat sie die Protokolldaten der Kameras, mit deren Hilfe der korrekte Einsatz der Videoüberwachungsanlage durch Betroffene oder Datenschutzbeauftragte überprüft werden können soll, teilweise schon nach wenigen Wochen und Monaten durch Überschreiben gelöscht, obwohl sie zur Aufbewahrung bis zum Ende des Folgejahres verpflichtet ist.
– Die Polizei Köln hat massive Datenschutzdefizite, was den Umgang mit der Videoüberwachungsanlage und den daraus gewonnenen Daten betrifft. Mehrere durch das Datenschutzgesetz vorgegebenen Verfahren existieren nicht, werden nicht offen gelegt oder sind unzureichend. Dazu gehören das Fehlen einer Datenschutzfolgeabschätzung vor Einführung der Videoüberwachung, das Fehlen eines technisch-organisatorischen Maßnahmenkonzepts, das Fehlen eines Datenschutz- und Löschungskonzepts, das Fehlen eines Verarbeitungsverzeichnisses und unzureichende Dienstanweisungen durch die Behördenleitung.
– Bei Versammlungen kommt die Polizei Köln bis heute den Beschlüssen des Verwaltungsgerichts Köln vom 12.03.2020 und des OVG NRW vom 13.03.2020 und 02.07.2020 nicht nach. Demnach muss sie den Kameras der Videoüberwachung während Versammlungen die Sicht versperren (verhüllen, verhängen oder verstellen) oder bei kleineren Kundgebungen zumindest über die Einstellung der Videobeobachtung und Bildspeicherung vor Ort informieren.

Eilantrag Neumarkt (Stand 26.11.2019):

Am 26.11.2019 hat der Kläger auch gegen die am 11.11.2019 am Neumarkt in Betrieb genommene Videoüberwachung der Polizei Köln Eilantrag beim Verwaltungsgericht Köln eingelegt. Wie schon für den Ebertplatz und den Breslauer Platz beantragt soll der Polizei die Videobeobachtung, -aufnahme und -speicherung bis zu einem rechtskräftigen Urteil untersagt werden.

Eilantrag Ebertplatz und Breslauer Platz (Stand 07.11.2019):

Am 07.11.2019 hat der Kläger Eilantrag (Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO) beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht. Ziel ist es, der Polizei Köln untersagen zu lassen, die Videoüberwachung am Ebertplatz und am Breslauer Platz zu betreiben, bis das Gericht im Hauptsacheverfahren der Klage 20 K 4855/18 über die Videoüberwachung generell entschieden hat.
Die Polizei Köln hatte am 28.10.2019 die Videoanlagen an den beiden Plätzen in Betrieb genommen und speichert seitdem alle Aufnahmen rund um die Uhr für mindestens 14 Tage, obwohl in einem Interview des WDR-Fersehen (Lokalzeit Köln) der Pressesprecher der Polizei Köln Baldes im Oktober 2018 noch gesagt hatte: „Dann kann es weitergehen auf dem Neumarkt, Breslauer Platz, Ebertplatz und dem Wiener Platz. Wir warten natürlich auch die Ergebnisse dieses Verwaltungsstreitverfahrens ab.“

Informationen zur Klage (Stand 13.05.2019):

Was will der Kläger?

Der Kläger hat vor dem Verwaltungsgericht Köln im Juni 2018 eine Klage mit drei Anträgen gegen die seit 2016 bestehende und die weitere geplante polizeiliche stationäre Videobeobachtung erhoben.

Zuvor hatte er drei Anfragen an das Polizeipräsidium Köln hinsichtlich der  gesetzlichen  Voraussetzungen sowie der Begründung zur Einführung der Videobeobachtung und des Verfahrens bei Versammlungen gestellt.

Diese Anfragen wurden entweder gar nicht oder nur rudimentär und in einem Fall nur kostenpflichtig beantwortet. Auf die Klage aus Juni 2018 hat das Land NRW/das Polizeipräsidium im Oktober 2018 erwidert und ihren lediglich aus 68 !! Seiten bestehenden Verwaltungsvorgang zur stationären Videobeobachtung dem Gericht übersandt. Der Kläger hat im Januar 2019 erneut seine Auffassungen begründet und ergänzend vorgetragen. Bis heute steht eine erneute Stellungnahme des Landes NRW/PP Köln aus (Stand: 13.05.2019).

1. Klageantrag: Unterlassung der stationären polizeilichen Beobachtung in den bereits beobachteten Bereichen (Bahnhofsvorplatz/Umgebung Dom sowie Hohenzollernring und Teile des Kaiser-Wilhelm-Rings)

Dem Kläger ist bewusst, dass im Bereich des Doms oder auf den Ringen wie in vielen Bereichen der Stadt immer wieder Straftaten begangen werden. Solche Orte einer Großstadt werden nie deliktfrei sein. Nach Ansicht des Klägers kann dies aber nicht rechtfertigen, beliebte und stark frequentierte öffentliche Plätze einer Großstadt wie Köln (möglicherweise dauerhaft) mit Videobeobachtung zu versehen.

Denn bei der polizeilichen Videobeobachtung werden überwiegend nicht wegen Straftaten auffällige Personen erfasst. Die Beobachtung geschieht hier ohne jeglichen Anlass. Sie stellt nach gefestigter Rechtsprechung einen Grundrechtseingriff dar, der nur durch die besonderen Voraussetzungen des § 15a PolG NRW gerechtfertigt sein kann und zudem verhältnismäßig sein muss.

Auch die Speicherung von Bildmaterial aller von den Kameras erfasster Passant*innen ohne besonderen Grund in Köln für 14 Tage und die umfangreiche Sammlung von Datenmaterial von staatlicher Seite, welches auch immer ausreichend vor dem Zugriff Dritter geschützt werden muss, muss in die Betrachtung der  Rechtmäßigkeit zunehmender polizeilicher Videobeobachtung einbezogen werden.

Neben dem tatsächlichen Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15a PolG NRW ist es daher wichtig, dass die polizeiliche Videobeobachtung in einem ordnungsgemäßen Verfahren eingerichtet wird, welches auch fortlaufend dokumentiert wird.

Der Kläger hat berechtigten Zweifel, dass die stationäre polizeiliche Videobeobachtung von dem Polizeipräsidium Köln bereits schon nicht in einem formell ordnungsgemäßen Verfahren eingerichtet wurde.

Im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat das Land NRW/das Polizeipräsidium Köln eine nach dem Gesetz erforderliche Dienstanweisung/Dienstanordnung für diese polizeiliche Maßnahme bisher nicht vorgelegt.

Dem Gericht übersandt wurde bis jetzt lediglich eine „Vorläufige Handlungsanweisung“ aus Februar 2017. Beobachtet wird jedoch am Bahnhofvorplatz und am Dom bereits seit Dezember 2016. Laut dem Kläger genügt aber auch diese – von der Polizei selbst als nur vorläufig bezeichnete – Handlungsanweisung aus Februar 2017 nicht den gesetzlichen Kriterien.

Ebenso unklar ist bis jetzt, ob, durch wen und wann eigentlich die zwischenzeitlich erfolgte Ausdehnung der Beobachtung und Aufzeichnung auf 24 Stunden täglich angeordnet worden ist.

Das Gericht hat daher die Polizei aufgefordert, entsprechende Anordnungen vorzulegen.

Auch moniert der Kläger, dass das Polizeipräsidium vor der Inbetriebnahme seiner Maßnahme aufgrund der zahlreichen Grundrechtseingriffe mittels einer technischen Einrichtung zwingend eine sog. Datenschutzfolgeabschätzung hätte erstellen müssen. Diese soll das Polizeipräsidium dem Gericht nun ebenfalls vorlegen. Ferner bestehen hinsichtlich des Umfangs der polizeilichen Dokumentationspflichten für die bereits bestehende Beobachtung, Aufzeichnung und Speicherung zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits offenbar Differenzen.

Der Kläger meint, dass die Polizei zwingend ihre Maßnahme fortlaufend nachvollziehbar, auch hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeit zu dokumentieren hat. Wer sollte es sonst tun?

Nur so kann die polizeiliche Begründung für die zeitliche und räumliche Fortführung von Videobeobachtung sowohl für die Betroffenen als auch für die gerichtliche Überprüfung transparent gestaltet werden. Der Kläger versteht das PP Köln aber bisher so, als sei eine laufende gründliche Dokumentation lediglich dessen Kulanz geschuldet.

Insbesondere seien aber die tatbestandlichen Voraussetzungen der gesetzlichen Grundlage des § 15a PolG NRW von dem Polizeipräsidium bisher nicht nachvollziehbar begründet worden.

Nach Auffassung des Klägers ist insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme angesichts des Grundrechtseingriffs zahlreicher anlasslos beobachteter Personen (am Dom/Hbf dürften es täglich um die 200.000 Personen sein) nicht (erkennbar) abgewogen worden. Bei einem Grundrechtseingriff dieser Art muss aber zwingend eine Abwägung mit Grundrechten der beobachteten Menschen, auch hinsichtlich jeder einzelnen Örtlichkeit erfolgen.

Polizeiliche Videobeobachtung auf öffentlichen Plätzen und Straßen kann nur verhältnismäßig sein, wenn potentielle Straftaten tatsächlich durch Videobeobachtung verhindert werden können.

Naturgemäß kann es sich bei diesen Delikten nur um typische Straßendelikte handeln, also nur solche Delikte, die überhaupt von Videobeobachtung erfasst werden können.

Ob aber z.B. Taschendiebstahl oder BtM-Delikte tatsächlich durch Videobeobachtung verhindert oder sogar aufgeklärt werden können, erscheint dabei durchaus fraglich. Die Polizei Köln nimmt die Bewertung von sog. Kriminalitätszahlen anhand von allgemeinen Auswertungen ihrer Einsatzstatistik sowie ihrer Ausgangsstatistik auf bestimmten öffentlichen Plätzen und Straßen vor.

Ob dieses Verfahren der statistischen Erhebung zur Bewertung von Kriminalität überhaupt rechtlich belastbares Material auswirft, will der Kläger mit seiner Klage geklärt wissen.

Schließlich sagen beide Statistiken nichts darüber aus, ob tatsächlich strafrechtlich relevantes Verhalten durch Videobeobachtung beobachtet, verhindert oder aufgeklärt werden konnte. In der Ausgangsstatistik der Polizei schlägt sich gerade nicht nieder, ob Straftaten von der Staatsanwaltschaft angeklagt bzw. später auch gerichtlich festgestellt worden sind. Die entsprechenden Einsatzzahlen in bestimmten Bereichen (beobachtet oder nicht) sind nach Auffassung des Klägers ebenso durch andere polizeiliche Maßnahmen bedingt (z.B. durch die hohe Polizeipräsenz an Wochenenden auf den Ringen).

Die Statistiken zu den Kriminalitätszahlen aus 2015-2017, die das Polizeipräsidium in seiner bisherigen Klageerwiderung vorgelegt hat, hält der Kläger für inkonsistent. Zahlen zu 2018 hat das Polizeipräsidium bisher nicht vorgelegt.

Die bisher vorgelegten „Kriminalitätszahlen“ des PP Köln, beziehen zum Teil offenbar auch Delikte mit ein, die nicht der Straßenkriminalität zuzuordnen sind, wie z.B. den Ladendiebstahl. Auch werden für gleiche Zeiträume zum Teil ganz unterschiedliche Zahlen vorgelegt.

Ein Rücklauf der Staatsanwaltschaft oder der Gerichte zu tatsächlich angeklagten und verfolgten Straftaten, um eine Effizienz der Videobeobachtung überhaupt erst feststellen zu können, ist bisher ebenfalls nicht vorgelegt worden.

Dabei solle doch die 14-tägige Speicherungsdauer aller Aufnahmen laut Polizeipräsidium den erst mit zeitlichem Verzug nach der Tat eingehenden strafrechtlichen Anzeigen zur Beweissicherung (Archivierung) dienen.

Wie viele Anfragen aus Polizei und Staatsanwaltschaft in dem Zusammenhang aber seit 2016 überhaupt eingegangen sind, kann den an das Gericht übersandten Unterlagen nicht entnommen werden.

Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich aber, dass im Jahre 2017 im beobachten Bereich des Dom/Hbf  (immerhin schon mit 25 Kameras bestückt) 85 solcher Archivierungsvorgänge zur Beweissicherung gefertigt worden sind. Eine sehr geringe Zahl, findet der Kläger, angesichts der unfassbar großen Anzahl anlasslos beobachteter Personen für 24 Stunden jeden Tag sowie der Speicherung  ihrer Bilddateien für generell 14 Tage.

Der Kläger hat somit im Januar 2019 erwidert, dass das bisher vorgelegte Zahlenmaterial und die weiteren übersandten Unterlagen des Polizeipräsidiums nicht geeignet sind, entsprechende erforderliche Kriminalitätszahlen für die Notwendigkeit der Videobeobachtung, ihren Erfolg in den bereits beobachteten Bereichen, geschweige denn ihre Verhältnismäßigkeit zu begründen.

Der Kläger ist auch der Auffassung, dass die stationären polizeilichen Kameras die grundrechtliche Versammlungsfreiheit in unverhältnismäßiger Weise beeinflussen.

Sowohl die Organisator*innen als auch der*die einzelne Versammlungsteilnehmer*in können nicht erkennen, ob sie gefilmt werden und Bilder von ihnen aufgezeichnet und gespeichert werden oder nicht. Dieser Umstand habe einschüchternden Charakter und könne Menschen davon abhalten, Versammlungen zu organisieren und zu besuchen.

Das Polizeipräsidium gibt dazu an, ausreichend darüber zu informieren, dass es die Kameras während einer Versammlung ausschaltet, solange die Voraussetzungen aus dem Versammlungsgesetz nicht vorliegen.

Das ist aber nach Ansicht des Klägers nicht richtig. Die Hinweise in den Anmeldebestätigungen seien lückenhaft, wenn sie überhaupt vorhanden sind; auch auf der Webseite des PP gibt es keine Informationen zum Verfahren bei Versammlungen. Vor Ort erhält der*die Versammlungsteilnehmer*in keine Information, ob bzw. wann die Kameras aufgeschaltet wurden oder nicht. Auch ist bisher nicht erkennbar, ob es eine ordnungsgemäße Dienstanordnung für das Verfahren bei sog. „versammlungsrechtlichen Lagen“ gibt.

2. Klageantrag: Vorbeugende Unterlassung der stationären Videobeobachtung der für vier weitere Kölner Plätze.

Die vier neuen Bereiche sind ebenfalls stark frequentierte und in der Öffentlichkeit sehr beliebte Plätze.

Im Mai 2018 kündigte die Polizei Köln öffentlich an, zukünftig mit Breslauer Platz, Ebertplatz, Neumarkt und Wiener Platz vier weitere Bereiche, davon drei in der Kölner Innenstadt, mit stationären Videokameras beobachten und die Aufnahmen speichern zu wollen. Diese sind ebenfalls stark frequentierte und in der Öffentlichkeit sehr beliebte Plätze.

Deutlich wird aus den vorgelegten sog. „Kriminalitätszahlen“ aus 2015-2017 des Polizeipräsidiums, dass außer beim Ebertplatz die Kriminalitätsbelastung bei allen neu geplanten beobachteten Bereichen rückläufig ist.

Nach den vom Polizeipräsidium räumlich erhobenen Statistiken ist am Ebertplatz  der Anstieg der Kriminalität seit 2015 wesentlich durch den Anstieg von Drogendelikten und damit in Zusammenhang stehenden Delikten ausgelöst. Ob es Sinn macht, einer solchen für eine Großstadt typischen BtM-Szene mit  Videobeobachtung zu begegnen, ist äußerst fraglich. Eher wird es zu Verdrängungseffekten in nicht beobachtete Bereiche kommen. Das Polizeipräsidium verliert in seiner Begründung, Planung und Beantragung beim Land NRW zur Installation von noch mehr Kameras in Köln kein Wort zu Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, insbesondere der Abwägung mit den Freiheitsrechten Kölner Bürger*innen sowie Besucher*innen , und zwar weder in seinen dem Gericht vorgelegten Unterlagen noch in seiner Klageerwiderung aus Oktober 2018.

Der Kläger fragt sich daher, wer die Prüfung der Einrichtung der neuen Beobachtungsbereiche unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten letztlich vornimmt und sicherstellt.

Insbesondere am Ebertplatz kann der Kläger nicht nachvollziehen, warum ausgerechnet der Platz, der seit mehreren Monaten eine Wiederbelebung durch die Kölner Bevölkerung erfährt, mit stationärer polizeilicher Videobeobachtung bestückt werden soll. Der Rat der Stadt Köln hat im März 2018 ein Zwischennutzungskonzept für den Ebertplatz bis zu dessen Umgestaltung („Masterplan“) beschlossen und auch entsprechende Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt, um dem öffentlichen Wunsch nach Belebung des Platzes gerecht zu werden.

Die Bürger*innen, die sich auf dem Ebertplatz heute schon in vielfältiger Weise engagieren oder sich nur vermehrt dort aufhalten, befinden sich also zukünftig dabei unter ständiger staatlicher Beobachtung.

Das Polizeipräsidium ignoriert offenbar die durch die Zivilgesellschaft ausgerufene Wandlung, wenn es noch in der Klageerwiderung aus Oktober 2018 mitteilt, dass es seine Pläne zur Ausweitung der Videobeobachtung auch auf den Ebertplatz weiter verfolge bzw. umsetzen werde.

Der Kläger hat daher versucht in seiner Klage darzustellen, dass das städtische und bürgerschaftliche Engagement am Ebertplatz ein milderes Mittel zur ständigen Videobeobachtung und Aufzeichnung darstellt und die Ergebnisse dieses Prozesses auszuwerten und abzuwarten sind.

Aber auch bezüglich der anderen Plätze wird nicht deutlich, warum das Polizeipräsidium hier eine besonders hohe gleichbleibende „Kriminalitätsbelastung“ annimmt und wie sie diese mit Videobeobachtung senken will. Auch hier äußert sich das PP zur Verhältnismäßigkeit in keinster Weise. Des Weiteren hält der Kläger für problematisch, dass die Installation neuer Kameras mit dem „neuen“ § 15 a PolG NRW auch schon dann gerechtfertigt werden kann, wenn nur die Planung und Verabredung von Kriminalität auf öffentlichen Straßen und Plätzen von der Polizei angenommen wird.

Der Kläger hält daher u.a. die Neufassung des § 15a Abs. 1 PolG NRW hinsichtlich Abs. 1 Nr. 2 verfassungsrechtlich für nicht haltbar.

Eine Videobeobachtung ist bisher immer als Reaktion auf wiederholt begangene Straftaten an einer Örtlichkeit gerechtfertigt worden. Die bloße Befürchtung, dass erst zukünftig an einem Ort bestimmte Straftaten begangen werden könnten, reichte für eine Maßnahme nach § 15a Abs. 1 PolG NRW (alt) nicht aus.

Der Kläger ist daher der Meinung, die neu aufgenommene Definition der Örtlichkeit in § 15a Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW, an der Kameras installiert werden sollen, sei nicht mehr klar genug gefasst und zu unbestimmt.

Eine besondere Beschaffenheit eines Ortes wird nicht mehr gefordert. Die (neue) Formulierung lässt eine Videoüberwachung faktisch an jedem Ort zu, soweit abstrakt Straftaten lediglich aufgrund einer Annahme drohen sollen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesichts der zahllosen Grundrechtseingriffe anlasslos Betroffener ist damit nicht gewahrt.

3. Klageantrag: Hilfsantrag zur Unterlassung der polizeilichen Videobeobachtung bis zu deren ausreichenden Kenntlichmachung

Der Kläger kritisiert auch die unzureichende Kenntlichmachung der Videobeobachtung und verlangt hilfsweise die Unterlassung der Videobeobachtung bis zu deren ausreichenden Kenntlichmachung. Weder vor Ort noch auf dem Internetauftritt des Polizeipräsidiums (z.B. durch Kartenmaterial mit Aufnahmebereichen der Kameras) kann er erkennen, wann er konkret einen beobachteten Bereich betritt bzw. wie weit die Aufnahmebereiche der Kameras ihn tatsächlich erfassen.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gibt ihm jedoch den Anspruch, erkennen zu können, wann und wo Daten (von staatlicher Seite) von ihm aufgezeichnet werden, damit er dies z.B. durch eine Umgehung der Beobachtungsbereiche vermeiden bzw. er sich der Aufzeichnung  überhaupt bewusst werden kann.

Zwischen dem Kläger und dem Polizeipräsidium ist aber diesbezüglich streitig, wie häufig und wann bereits räumlich auf die Videobeobachtung hingewiesen werden muss.

Das Polizeipräsidium gibt dazu an, die Kameras seien schließlich ausreichend mit dem bloßen Auge zu erkennen und es reiche aus, lediglich innerhalb der beobachteten Bereiche auf die Kameras hinzuweisen. Der Kläger findet, dass die Kameras bereits vor deren Aufnahmebereichen ausreichend und sichtbar kenntlich gemacht werden müssen.

Daneben moniert der Kläger, dass zahlreiche auch beobachtete Seitenstraßen, die als Zuweg zu den eigentlich beobachteten Straßen und Plätzen dienen, nicht ausreichend als bereits von der Videobeobachtung erfasst gekennzeichnet sind.

Dies weiß das Polizeipräsidium sogar selbst. In den übersandten Unterlagen gibt es Kartenmaterial zu den beobachteten Bereichen aus 2016. Auf diesem Kartenmaterial sind zahlreiche Punkte als mit Hinweisschildern noch zu ergänzen markiert. Diese Ergänzungen bzw. die Installation dieser Schilder sind aber bis heute nicht vorgenommen worden. Warum das Polizeipräsidium mit den Hinweisschildern so geizt, möchte der Kläger daher wissen. Gerade weil es doch argumentiert, dass die Information zur 24-stündigen Videobeobachtung und –aufzeichnung potentielle Straftäter von der Begehung von Straftaten abhalten soll.

Daneben moniert der Kläger, dass es auf den Hinweisschildern und auf dem Internetauftritt des Polizeipräsidiums keine ausreichende Aufklärung über die unerlässlichen und daher gesetzlich vorgeschriebenen Informations- und Auskunftsrechte für die von der Datenerhebung Betroffenen gibt.

Aktenzeichen der Klage: VG Köln, 20 K 4855/18


Kurz erklärt: zum juristischen Begriff Verhältnismäßigkeit

Unter Verhältnismäßigkeit ist zu verstehen, dass ein staatlicher Eingriff vor allem in Grundrechte

a) einem legitimen Zweck dienen muss,

b) geeignet sein muss, den Zweck auch zu erreichen,

c) erforderlich sein muss, z.B. Grundrechtsträger*innen gegenüber das mildeste Mittel zur Zweckerreichung darstellt und

d) angemessen sein muss, d.h. der Vorteil dem Nachteil gegenüber überwiegen muss.

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip hat Verfassungsrang und ist bei allen staatlichen Eingriffen in die Rechte der Bürger*innen zu beachten.


Copyright: das Keyvisual dieser Seite verwendet eine Fotografie unter „Creative Commons“ Lizenz. © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons), Überwachungskameras Bahnhofsvorplatz Köln, Detail-9900, Collage von Martin Gamper, CC BY-SA 4.0