Mythen der Videobeobachtung entkräftet

Mythen der Videobeobachtung entkräftet

MYTHOS N°1
„Videobeobachtung verhindert Straftaten.“

Videobeobachtung verhindert keine Straftaten. Im besten Fall überträgt sie das Geschehen auf einen Monitor, auf dem sie von einem*r Beobachter*in der Polizei gesehen wird, woraufhin diese*r eine Streife dort hinsenden kann. Dann ist die Straftat aber begangen und in den meisten Fällen auch beendet. Sowohl die entsendete Streife, wie auch die Aufzeichnung der Tat dienen in der Regel nur noch – wenn überhaupt – zur Strafverfolgung.

Gerade im Bereich der Gewaltkriminalität handelt es sich im öffentlichen Raum überwiegend um Affekthandlungen, die von alkoholisierten oder sich in psychischen Ausnahmezuständen befindlichen Menschen begangen werden. Da keine rationale und geplante Abwägung hinter diesen Taten steht, lassen sich diese Menschen nicht von Kameras in ihrem Tun abschrecken.

MYTHOS N°2
„In Zeiten von Terrorgefahren bringen Kameras im öffentlichen Raum mehr Sicherheit.“

Das Gegenteil ist der Fall. Terrorismus hat die Verbreitung von Angst, Schrecken und Verunsicherung der Bevölkerung zum Ziel, um dadurch bestehende Verhältnisse zu destabilisieren. Aus diesem Grund haben Terrorist*innen grundsätzlich ein Interesse, dass ihre Taten aufgezeichnet und möglichst weit verbreitet werden. Deshalb kommt ihnen eine Videobeobachtung und -aufzeichnung sogar entgegen, ihre Ziele zu erreichen. Sie könnten aus diesem Grund sogar gezielt videoüberwachte Bereiche für ihre Taten aussuchen.

MYTHOS N°3
„Durch Videobeobachtung fühlen sich Menschen sicherer.“

Einem Großteil der Passant*innen fällt die Videobeobachtung gar nicht auf. Somit hat sie bei diesen Menschen keinen psychologischen Effekt. Andere Menschen, denen die ständige Beobachtung bewusst ist, ändern deshalb oft ihr Verhalten im öffentlichen Raum. Sozial geächtetes, negativ beäugtes oder abweichendes Verhalten wird vermieden. Der beobachtete Mensch bemüht sich, nicht aufzufallen und sich konform zu verhalten, um zum Beispiel nicht Objekt weiterer staatlicher Maßnahmen zu werden. Statt Sicherheitsgefühl entsteht Beklemmung und Einschränkung der freien Entfaltung der eigenen Persönlichkeit.

Davon abgesehen steigt das subjektive Unsicherheitsgefühl der Menschen stetig trotz sinkender Kriminalitätszahlen und trotz zunehmender Präsenz und Maßnahmen der Polizei wie der Videobeobachtung. Es ist die Frage zu stellen, ob die Videobeobachtung einen Ort nicht erst offen als gefährlich ausweist und so das Gefühl von Unsicherheit sogar verstärkt.

MYTHOS N°4
„Die Videobeobachtung schadet doch niemand.“

Per Video Beobachtet zu werden ergänzt mit der Speicherung der Bilder führt bewusst oder unbewusst zu Verhaltensänderungen. Die einen meiden diese Bereiche ganz und sind so in ihrer Bewegungsfreiheit und auch Kontaktfreiheit eingeschränkt. Andere verhalten sich aufgrund der Videobeobachtung gesellschafts- und staatskonform. Das bedeutet, dass die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit in der Öffentlichkeit eingeschränkt wird und gesellschaftliches Leben an Vielfalt, Auseinandersetzung mit dem Anderen und Kultur verliert. Durch die Vorverlagerung polizeilichen Handelns weit ins Vorfeld von Gefahren und Straftaten wird der*die Bürger*in auch häufiger Kontrollen und anderen Maßnahmen wie Durchsuchungen ausgesetzt sein. Somit schadet die Videobeobachtung Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzer.

MYTHOS N°5
„Wer nichts zu verbergen hat, dem kann es doch egal sein.“

Dieses Argument verneint das Grundrecht auf Privatheit. Geheimnisse zu haben, nicht das eigene Leben komplett offen legen zu müssen und eine Privatsphäre allein oder nur mit einem ausgewählten kleinen Kreis (z.B. Familie, Freund*innen) zu teilen ist ein Menschenrecht, für das sich niemand rechtfertigen muss. Nur weil ich etwas für mich behalten will, darf ich dadurch nicht in Verdacht geraten, etwas Verbotenes oder Verwerfliches zu tun. Das wird mit diesem Satz aber  unterstellt.

MYTHOS N°6
„Videobeobachtung registriert doch nur das, was in der Öffentlichkeit sowieso jede*r mitbekommen kann.“

Ein Mensch hat nur begrenzte Wahrnehmungs- und Aufnahmefähigkeiten. Vergessen und Selektion von Eindrücken ist Teil des menschlichen Wesens. Kameras erfassen alles, auf das sie gerichtet sind. Durch Speicherung ist das Aufgenommene unendlich häufig ohne Qualitätsverlust  wieder abrufbar. Insofern ist die Videobeobachtung mit Speicherung der Daten ein viel intensiverer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte als ein*e an der Kreuzung stehende*r Polizist*in, der*die die Szenerie beobachtet.

Copyright: Keyvisual verwendet eine Illustration von: iStock.com/MarcoOne